Aufregung bei den Wahlen in Deutschland:
Wer ist Antisemit?
Von Eldad Beck, Jedioth Achronoth v. 13-06-2002
Wolfgang S. fällt es schwer, die Tränen zurückzuhalten.
"Wer hätte gedacht, dass wir jemals in eine solche Situation geraten
werden?", seufzt er. "Wir sind keine Partei von Antisemiten." Wolfgang ist
langjähriger Aktivist in der FDP, der liberalen Partei Deutschlands, die
sich dieser Tage im Mittelpunkt einer der stürmischsten politischen Affären
befindet, die Deutschland in den letzten Jahren zu verzeichnen hatte.
Bisher war dies eine ruhige, bürgerliche Zentrumspartei,
frei von Skandalen, was es ihr fast traditionsgemäß ermöglichte, bei
verschiedenen Koalitionen das Zünglein an der Waage zu bilden. Heute wird
ihr vorgeworfen, zu einer antisemitischen Partei geworden zu sein, zu einem
"Asyl für Israelfeinde", zur deutschen Version der FPÖ.
Bundeskanzler Schröder erklärte, die Liberalen schadeten
dem Ansehen Deutschlands im Ausland. Sowohl die Sozialisten als auch die
Konservativen sagten, unter den derzeitigen Umständen habe es die Partei
nicht verdient, als eventueller Koalitionspartner betrachtet zu werden.
Die Affäre läßt Adrenalin in den Wahlkampf fließen, der
eigentlich langweilig und grau zu werden versprach. Die Deutschen sind
normalerweise nicht mit existenziellen oder schicksalhaften Problemen
beschäftigt, wie Krieg und Frieden. Sie machen sich eher Sorgen um
Arbeitslosigkeit, Umwelt, Gewalt in den Schulen. Und nun wurde der Wahlkampf
plötzlich in eine völlig unerwartete Richtung getrieben: Israel und die
Juden.
In der Affäre gibt es vier Stars: Jürgen Möllemann...,
Jamal Karsli....,, Michel Friedmann... und Guido Westerwelle... Westerwelle
beschloss, für das Amt des Kanzlers zu kandidieren, und um die jungen Wähler
anzuziehen, übernahm er die Strategie des "Durchbrechens von Tabus". Als
erstes Tabu, das es zu brechen gilt, wählte er, in Übereinstimmung mit
seinem Vize Möllemann, die Juden und Israel.
"Die Antisemitismus-Diskussion" brach vor zwei Monaten
aus, auf dem Höhepunkt der Aktion "Schutzwall". Möllemann gab ein Interview,
aus dem sich entnehmen ließ, dass er die palästinensischen
Selbstmordattentate gegen Israel unterstützt.
...Seine Äußerungen stießen auf scharfe Kritik seitens des
Israelischen Botschafters in Berlin, Schimon Stein, und seitens der
jüdischen Gemeinde. Die Israelische Botschaft wurde auf die negativen
Entwicklungen in der FDP aufmerksam, und als Versuch, diese Strömungen zu
stoppen, wurde Westerwelle zu einem Besuch nach Israel eingeladen.
Möllemann arbeitete jedoch bereits an der zweiten Phase.
Bei einer dramatischen Pressekonferenz gab der "Syrer" Karsli bekannt, er
trete aus der Fraktion der Grünen aus und schließe sich der FDP an, als
Zeichen der Anerkennung für die entschlossene Haltung Möllemanns gegen
Israel. Von nun an ging es bergab, und die Diskussion über die Haltung zur
Politik Israels wurde zu einer Diskussion über Antisemitismus. Karsli, so
erinnerten sich die Rivalen Möllemanns, hatte erst vor kurzem gesagt, die
IDF wende in den Gebieten "Nazimethoden" an.
Die Tatsache, dass die Parteiführung zu diesen
Entwicklungen schwieg, versetzte die jüdische Gemeinde in Alarmbereitschaft.
Seit Beginn der zweiten Intifada nahm die deutsche Kritik an Israel eine
antisemitische Färbung an. Was "verboten" ist, über die Juden zu sagen, sagt
man nun über Israel und Sharon. Diese Erscheinung existiert auch in den
deutschen Medien.
Eine Umfrage, die von amerikanischen Juden bestellt wurde,
und in der die Art der Berichterstattung über den
israelisch-palästinensischen Konflikt untersucht wurde, hat eindeutig
ergeben, das die deutsche Presse im Zusammenhang mit Israel
antisemitische Stereotypen verwendet. "Meine jüdische Freunde sagen mir, sie
hätten sich in Deutschland noch nie so einsam gefühlt", erzählt
Außenminister Joschka Fischer, und er übertreibt gewiss nicht.
Michel Friedmann, der immer Ziel von Angriffen derer war,
die die Juden in Deutschland nicht so gerne haben, beschloss zu reagieren.
Dieser elegante Mann entspricht nicht unbedingt dem Image des "Juden" in der
antisemitischen Lehre. Noch dazu moderiert er eine beliebte Talk Show in
Deutschland.
Friedmann beschuldigte Karsli und Möllemann des
Antisemitismus und forderte, Karsli aus den Reihen der FDP zu entfernen.
Möllemann warf Friedmann daraufhin vor, mit seinem Verhalten schüre er
selbst den Antisemtismus..Möllemann und Friedmann, die beide über ein
riesiges Ego verfügen, begannen einen scharfen persönlichen Kampf, in den
sie ganz Deutschland hineinzogen. Der Großteil der deutschen Parteien
stellte sich auf die Seite der jüdischen Gemeinde. Unterstützung erhielt die
FDP nur von Jörg Haider und der radikalen Rechten in Deutschland.
Die Parteiführung zwang Möllemann, sich öffentlich zu
entschuldigen und Karsli zu entlassen. Er erklärte jedoch, dass er nicht
beabsichtige, sich bei Friedmann zu entschuldigen und verschärfte sogar
seine persönlichen Angriffe gegen den jüdischen Medienstar.
Die Affäre, so scheint es, wird nicht so schnell zu Ende
gehen. Die jüdische Gemeinde fordert die FDP-Führung nun auf, Möllemann aus
seinem Amt als Vizevorsitzenden zu entlassen. Möllemann versprach bereits,
dass er kämpfen werde.
Und als sei dies noch nicht genug, wird in zwei Wochen der
neue Roman Martin Walsers erscheinen, der von der angesehenen Tageszeitung
FAZ als antisemitische Hetze bezeichnet wurde... Der Roman befaßt sich mit
der Ermordung eines jüdischen Literaturkritikers, den man mit dem jüdischen
Kritiker Marcel Reich-Ranicki identifizieren kann, ebenfalls eine
umstrittene Medienfigur in Deutschland. Ist es Zufall, dass jetzt mit zwei
der bekanntesten Juden Deutschlands abgerechnet wird? Erlaubt es sich das
neue Deutschland, den antisemitischen Geist aus der Flasche zu lassen?
Einen Teil der Antwort werden die bevorstehenden
Bundestagswahlen liefern. In letzten Umfragen kann man feststellen, dass die
FDP wegen der "Antisemitismus-Diskussion" an Unterstützung verliert.
Andererseits sind der Partei in den letzten Wochen mehr neue Mitglieder
beigetreten als in den letzten fünf Jahren.
Übrigens, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, war lange Jahre Aktivist in der FDP.
Bubis, der vor drei Jahren gestorben ist, konnte die Partei in den 90-er
Jahren sogar vor dem völligen Verschwinden retten. Auf den Flügeln seines
Erfolgs bei den Stadtratswahlen in Frankfurt konnte sich die Partei, die
damals in einer tiefen Krise steckte, erholen und sich auf einen neuen Weg
machen. Bubis hätte sich sicherlich nicht vorgestellt, wohin sie dieser
"neue Weg" führen wird.
hagalil.com
2007
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