[Judenhass von heute]
I. Kapitel: Antisemitismus nach dem Weltkrieg
Auszüge aus dem 1935 im Paneuropa-Verlag in Wien und Zürich
erschienenen Buch von
R.N. Coudenhove-Kalergi. Wenn hier vom
Weltkrieg die Rede ist, ist also der I. Weltkrieg gemeint.
Teil 5.
Von der Verachtung zum Hass:
Nationalismus und AntisemitismusDas
Anschwellen des europäischen Nationalismus vor, während und nach dem
Weltkrieg trug wesentlich zur Verschärfung des Antisemitismus bei.
Durch den Weltkrieg wurde der Nationalismus zur
herrschenden Geistesrichtung in Europa. Jahre hindurch haben politische
und geistige Führer der europäischen Nationen die Überlegenheit der
eigenen Nation verkündet. Der Glaube an eine nationale Weltmission
beherrscht heute die Deutschen und Franzosen, Briten und Amerikaner,
Russen, Japaner und Italiener. Die kleineren Völker Europas begnügen
sich mit dem Glauben an ihre Überlegenheit über ihre Nachbarnationen.
Überall wird dieser nationale Größenwahn gestützt
durch halbwissenschaftliche Literatur, durch Geschichtsfälschung, durch
biologische und philosophische Theorien. Weil diese Theorien der
nationalen Eitelkeit schmeicheln, werden sie vom Gros der
Halbgebildeten, unter denen sich viele der sogenannten Gebildeten
befinden, kritiklos geglaubt und vertreten.
Wer diesen Theorien entgegentritt, wird als nationaler
Gegner oder als nationaler Verräter bekämpft. Denn die Eitelkeit der
Nationen ist stärker als ihre Wahrhaftigkeit.
Es ist klar, dass diese Geistesrichtung dazu beitrug,
den Antisemitismus zu stärken. Der Hass und die Verachtung gegen das
Fremde richtete sich auch gegen die Juden.
Während sich nach Abschluss des Weltkrieges die
nationalistische Kriegspsychose in anderen Staaten gegen die Angehörigen
der nationalen Minderheiten auswirkte, richtete sie sich in Ungarn und
Deutschland, in denen nicht genügend nationale Minderheiten übrig
geblieben waren, hauptsächlich gegen die Juden. Hier ergab sich eine
Gelegenheit, für die erlittenen Ungerechtigkeiten Rache zu nehmen, ohne
damit einen Nachbarstaat herauszufordern. So teilten die Juden das
Schicksal der nationalen Minderheiten: nur waren ihre Leiden härter und
bitterer.
Schlimmer als der Hass, dem die Juden ausgesetzt sind, ist die
Verachtung.
Die meisten Menschen verachten gerne. Je tiefer sie
auf andere herabblicken können, desto höher fühlen sie sich selbst.
Diese Verachtung gegen andere stärkt das eigene Selbstbewusstsein.
Aus diesem Grunde pflegt der Adel auf das Bürgertum
herabzublicken, das Bürgertum auf das Proletariat. Dieser Wille, zu
verachten, ist tief in der Menschenseele verankert. Das Kastensystem ist
auf dieser Verachtung aufgebaut. In Ländern, in denen mehrere Rassen
zusammenleben, lebt sich dieser Verachtungswille in der
Rassen-Verachtung aus. Selbst im insularen Japan hat dieser Wille zur
Verachtung eine Pariakaste geschaffen, die Eta. In Europa lebt sich
dieser Wille, durch Verachtung anderer das eigene Selbstbewusstsein zu
befriedigen und zu steigern, im Antisemitismus aus.
Der Antisemitismus schmeichelt den Nicht Juden, indem
er ihnen das Bewusstsein schenkt, einer Adelsrasse anzugehören, einer
privilegierten Kaste. Die Juden geben den Hintergrund ab, von dem das
Bild des Ariers sich abheben soll. Die Nicht-Juden erhalten so die
Möglichkeit, selbst wenn sie auf der untersten Stufe der sozialen Leiter
stehen, auf eine Menschengruppe herabblicken zu können. Für viele
Menschen ist dies ein großer Trost: ein doppelter Trost in Zeiten
wirtschaftlicher Not. Denn der Blick nach unten weckt, stets die
Illusion, oben zu sein. Das bloße Dasein einer verachteten Kaste gibt
allen, die ihr nicht angehören, das Recht, sich ihr gegenüber als
Aristokratie zu fühlen. So wird der Antisemitismus zum Adelsstolz der
Bürgerlichen. Darum ist er unter Kleinbürgern viel intensiver als im
Hochadel, dessen Klassenstolz auf andere Weise Befriedigung findet.
Zionismus
Auch die Erfolge des Zionismus trugen dazu bei, den
Antisemitismus nach dem Weltkrieg zu verschärfen. Denn im Zionismus
bekennt sich ein großer Teil des Judentums (nun seinerseits) als eigene
Nation. So rechtfertigt der Zionismus die antisemitische These, die
Juden seien nicht Mitbürger mosaischer Konfession, sondern ein
volksfremdes Element, eine eigene Nation. Diese neue Einstellung
erleichtert es den Nationalisten, Antisemiten zu sein und den
programmatischen Kampf gegen andere Nationen auf den Kampf gegen das
Judentum zu übertragen. Es erleichtert ihnen, die Juden aus der
Volksgemeinschaft auszuschalten, sie Sonderbestimmungen zu unterwerfen,
den Numerus clausus einzuführen und sie als nationale Minderheiten zu
unterdrücken. Denn im Wesen des Nationalstaates liegt die Forderung nach
Allmacht der herrschenden Nation und die möglichste Ausschaltung aller
fremdnationalen Elemente.
Für die Juden, die keine Zionisten sind, sondern sich
als Bürger des Landes fühlen, in dem sie wohnen, ist diese Wandlung der
Auffassung doppelt hart.
So wurde der Zionismus zunächst für das Judentum zu
einem zweischneidigen Schwert. Er arbeitet unbewusst dem Antisemitismus
in die Hände und erschwert die Stellung des Judentums. Aus einer Waffe
gegen den Antisemitismus hat er sich rasch in eine Waffe des
Antisemitismus gegen das Westjudentum und dessen
Assimilationsbestrebungen verwandelt.
Anderseits hat aber der Zionismus dazu beigetragen,
das Selbstbewusstsein der Juden zu heben. Die zionistische Jugend fühlt
sich heute als eigene Nation, gleichberechtigt allen anderen Nationen
der Welt. Sie ist stolz auf die Werke und Taten ihrer Vorfahren in
Palästina wie in der Diaspora. An die Stelle der weitverbreiteten
Selbstverachtung tritt nationales Selbstbewusstsein. Die Antisemiten
werden als nationale Gegner auf gleichem Fuss bekämpft.
So hat der Zionismus durch die Schaffung eines
jüdischen Nationalismus viel zur Klärung der Judenfrage beigetragen. Er
hat die Verachtung gegen die Juden vermindert, aber den Hass gegen sie
vermehrt.
Aus einer verachteten Kaste wandelt er das Judentum in eine verhasste
Nation.
Judentum als Negation des Nationalen
Der antisemitische Nationalismus bekämpft die Juden
nicht nur als Nation, sondern zugleich als I n t e r n a t i o n,
als Negation der nationalen Idee. Dadurch wird der Judenhass der
Deutschen um eine Dimension größer als ihr Franzosenhass.
Die internationalen Beziehungen und Verbindungen der
Juden lassen sie als Gefahr erscheinen für den Nationalismus an sich,
als Vertreter des verhassten Internationalismus, als Verbündete der
sozialistischen, kapitalistischen und bolschewistischen Internationale.
Der Kampf gegen das Judentum wird als Kampf empfunden
zwischen der nationalen und der internationalen Weltanschauung, als ein
Kampf für die Zukunft der eigenen Nation.
Nicht einmal der Zionismus reinigt die Juden von
diesem Verdacht: viele Antisemiten sehen in Zion nicht eine nationale
Heimstätte der Juden, sondern eine entstehende Zitadelle des
Internationalismus.
Den Juden wird auch ihre pazifistische Einstellung
vorgeworfen. Diese Einstellung ist ein natürliches Ergebnis ihrer
Entwicklung und ihrer Lage. Sie sind seit fast zweitausend Jahren
entwaffnet. Seither sind sie nicht mehr Subjekte der Kriege, sondern nur
Objekte. Sie können nicht durch den Krieg siegen, sondern nur durch den
Krieg leiden. Kriege wurden nicht für ihre, sondern für fremde Ideale
geführt. Sie aber mussten seit Generationen die Kriege anderer mit ihrem
Geld und oft auch mit ihrem Blut bezahlen. Das letzte tragische Beispiel
war der russisch-polnische Krieg, der die furchtbaren Judenmorde in der
Ukraine zur Folge hatte.
Niemand kann sich unter diesen Umständen wundern, dass
die meisten Juden heute wenig Kriegsbegeisterung aufbringen und lieber
für den Frieden eintreten als für den Krieg. Denn es ist
selbstverständlich, dass Völker, die seit zwei Jahrtausenden vom
Kriegsdienst ausgeschlossen sind, weniger kriegerisch gesinnt sind als
Völker, denen seit der Urzeit ununterbrochen kriegerische Ideale
gepredigt werden.
Dennoch wäre es ein Unrecht, den Juden aus diesem
Grunde Feigheit vorzuwerfen. Das Judentum darf diesen Vorwurf verachten.
Es hat durch Jahrhunderte auf Scheiterhaufen und in Folterkammern
bewiesen, dass es dort, wo es sich um seine eigenen Ideale handelt,
keinem Volk der Erde an Heldenmut nachsteht. Es hat um seines Glaubens
willen einen zweitausendjährigen Weltkrieg gegen ganz Europa geführt.
Dadurch hat es ein Recht, sich als Heldenvolk ersten Ranges zu fühlen.
Wer gerecht ist, muss dies anerkennen. Denn Krieg und Kampf sind
zweierlei. Und Kriege sind nicht die einzigen Prüfsteine des Heldentums.
Den meisten Menschen wird es leichter scheinen, in den Krieg zu ziehen,
als angesichts des Scheiterhaufens ihre Überzeugung nicht preiszugeben.
Auch die Neigung der meisten Juden zu einer
internationaleren Einstellung ist unbestreitbar. Ihre Verwandten sind
über die ganze Welt zerstreut, sie kennen als Handelsvolk fremde Länder
und fremde Völker und verfügen meist über einen internationaleren
Horizont als die Nicht-Juden der gleichen Bildungsstufe. So bilden sie
ein natürliches Band zwischen den Völkern und sind als Vermittler der
nationalen Kulturen besonders geeignet. Aber gerade dieser
Kosmopolitismus wird ihnen von den Nationalisten vorgeworfen.
Noch vor kurzem war es eine Auszeichnung, Kosmopolit
genannt zu werden. Heute ist an dessen Stelle das Wort Internationalist
getreten. Es ist keine Auszeichnung mehr, sondern eine Herabsetzung. In
einer Zeit des allgemeinen Nationalismus ist der Internationalismus
ebenso verächtlich wie es die Toleranz im Zeitalter der Glaubenskriege
war.
Heute wird Europa von der nationalistischen Ideologie
beherrscht, wie vorher vom religiösen Fanatismus. Diese nationalistische
Epoche ist noch sehr jung. Sie entstand in der französischen Revolution
und in den napoleonischen Kriegen. Sie fand ihren Höhepunkt im
Weltkrieg. Sie steht heute im Kampf mit sozialen Ideologien. Niemand
kann wissen, wann und durch welche Ideen sie abgelöst wird.
Aber so lange sie herrscht, wertet sie Kosmopolitismus
und Pazifismus als Ketzereien. Der Antisemitismus, der früher als
Ablehnung der jüdischen Religion aufgetreten war, erscheint in seinem
neuen Gewand als Ablehnung der jüdischen Nation oder des jüdischen
Internationalismus. Die Biologie wird herangezogen, in diesem Prozess
das Erbe der Theologie zu übernehmen: und immer finden sich Gelehrte
dazu bereit, durch wissenschaftliche Formeln politischen Wünschen
entgegenzukommen. Wer dies bezweifelt, braucht nur die Kriegsliteratur
nachzublättern: er wird dort die Namen der hervorragendsten Gelehrten
Europas finden, die mit dem ganzen Rüstzeug ihrer Wissenschaft die
biologische und kulturelle Minderwertigkeit der Europäer jenseits der
Schützengräben zu erweisen suchten. Und die Völker haben denen geglaubt
— wie sie heute noch den antisemitischen Thesen glauben.
Teil 6.:
Christentum und
Antisemitismus
Neben dem lauten Antisemitismus der Nationalisten
hat sich auch in unseren Tagen der stille Antisemitismus der Christen
erhalten. Dieser Antisemitismus ist augenblicklich weniger sichtbar,
weil hervorragende Vertreter der christlichen Weltanschauung sich gegen
den heidnischen Rassenantisemitismus kehren und damit als Gegner des
Antisemitismus erscheinen. In Wahrheit richtet sich ihr Kampf nicht
gegen den Antisemitismus schlechthin, sondern gegen den Antisemitismus
der Neuheiden, der zugleich die christliche Weltanschauung bedroht... |